Postskriptum Mit dem Publikum sprechen 0:00 Musik [Dynamische Musik] 0:31 Anja Redecker Willkommen beim Hamburg-Open-Online-University-Projekt „Accessing Theatre“ und bei der dritten Folge des Podcasts „Postskriptum“. Ich bin Anja Redecker, freie Dramaturgin und Produktionsleiterin. Und ich habe mit der Theaterakademie Hamburg und tollen KollegInnen die Website „Accessing Theatre“ entwickelt. Also den Rahmen, in dem dieser Podcast entsteht. Falls ihr diesen Audio nicht direkt auf der Website hört, findet ihr den Link zu „Accessing Theatre“ in den Shownotes. In dieser Folge Postskriptum geht es um die erst einmal einfach erscheinende Frage danach, wie ich als Theaterschaffende ins Gespräch mit dem Publikum komme, zum Beispiel durch Vermittlungsformate. 1:12 Anja Redecker Das Thema der Vermittlung hat in den letzten Jahren immer größere Aufmerksamkeit bekommen. In der freien Szene genauso wie an Stadt- und Staatstheatern. Das ist eine Entwicklung, die nicht zuletzt mit dem stärker werdenden Wunsch nach mehr Publikumsbindung und nach niedrigschwelligeren Zugängen zu Theater einhergeht. Deshalb möchte ich heute mit Jonas Feller von der Geheimen Dramaturgischen Gesellschaft sprechen und von ihm erfahren, wie Anlässe, Settings und Methoden aussehen können, um in einem gelungenen Austausch mit dem Publikum zu kommen. Und auch darüber, was eigentlich ein gelungener Austausch ist und warum es sich lohnt, diesen herzustellen. Ich freue mich sehr, dass du da bist. Hallo, Jonas. 1:51 Jonas Feller Hallo, Anja. 1:52 Musik [Dynamische Musik] 1:55 Anja Redecker Vielleicht bevor wir starten, über die geheime dramaturgische Gesellschaft zu sprechen, magst du erst einmal ein paar Worte zu dir sagen? Wer bist du? Was machst du eigentlich beruflich? Erzähl mal ein bisschen. 2:10 Jonas Feller Ich bin freiberuflich unterwegs, als Dramaturg, Kulturvermittler, teilweise auch ein bisschen als Game Designer und schlag mich so durch in verschiedenen Feldern, in verschiedensten Projekten. Und habe verschiedene Theatergruppen, mit denen ich gemeinsam arbeite, wo wir häufig partizipative Projekte entwickeln. Entweder, die in den Aufführungen konkret mit Publikum interagieren oder in Prozessen teilweise dokumentarisches Material produzieren oder nicht. Und eben ein sehr großer Teil ist die Geheime Dramaturgische Gesellschaft und das ganze Thema Gesprächs-, Anstiftung- und Gesprächsführung. 2:48 Anja Redecker Und du hast vorhin erzählt, dass du noch gar nicht so lange in Hamburg bist. 2:52 Jonas Feller Genau ich wohne seit knapp zwei Jahren in Hamburg. Ich bin Anfang März 2020 hergezogen. Zwei Wochen vor dem Lockdown. 3:00 Anja Redecker Und die Geheime Dramaturgische Gesellschaft ist aber nicht mit ihrem Kern in Hamburg, sondern verteilt sich so ein bisschen über die Republik. Richtig? 3:09 Jonas Feller Genau. Wir sind insgesamt 13 Leute zurzeit und wir leben eigentlich ziemlich über ganz Deutschland verteilt. Der Sitz selbst sozusagen der Struktur ist in Thüringen. Einfach weil wir da einen Ort haben, wo wir auch unser Lager haben und sich dort viel von unserer Arbeit irgendwie aus gut organisieren lässt. 3:27 Anja Redecker Ich selbst bin auf euch gestoßen im Zuge des Vermittlungsseminars an der Theaterakademie, als ich recherchiert habe nach neuen Vermittlungsformaten, die sich vielleicht ein bisschen abheben vom klassischen Publikumsgespräch oder der klassischen Einführung und bin dabei auf eure Website gestoßen und habe dabei auch entdeckt - du hast es gerade selbst auch schon gesagt -, dass ihr gar nicht so sehr von Vermittlungen sprecht, sondern eher von Gesprächsanstiftung. Was bedeutet das? Mit was für Gesprächen beschäftigt ihr euch? Was macht ihr eigentlich? 4:02 Jonas Feller Wir versuchen Gespräche anzustiften zwischen verschiedenen Gruppen, die vielleicht noch gar nicht unbedingt miteinander ins Gespräch kommen normalerweise oder wo bestimmte Hürden bestehen. Und wir verstehen das Ganze… Oder wir nennen das Ganze gar nicht unbedingt Vermittlungen, weil in Vermittlungen manchmal ja auch implizit drinsteckt, dass es irgendwie darum geht, Wissen weiterzugeben oder von einer Seite auf eine andere, also auch eine Art Ungleichgewicht auszugleichen und ein Wissen zu transportieren und wir den Begriff Gespräch eher verstehen als ein Ergebnis, offenen Austausch, gemeinsamen Austausch vor allem. Und das muss gar nicht unbedingt immer mit reden zu tun haben, auch wenn das da drinsteckt, aber wir haben noch keinen Begriff gefunden, der eigentlich besser dafür funktioniert, sondern es kann natürlich auch schriftlicher oder nonverbaler Austausch sein. Aber das, was in diesem Begriff Gespräch drinsteckt, ist das, was uns interessiert. Und das Anstiften kommt daher, dass wir unsere Aufgabe vor allem eigentlich darin sehen, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Leute miteinander ins Gespräch kommen können. Das heißt, einen Ort zu schaffen, eine Situation zu schaffen, wo Leute sich aufhalten und vielleicht ganz automatisch miteinander ins Gespräch kommen, oder wenn nicht ganz so automatisch, einen Impuls zu setzen durch eine Fragestellung, durch ein mehr oder weniger fest gesetztes Format, was noch mal das Sprechen irgendwie anders fokussiert und sagt: Hier seid ihr jetzt für eine gewisse Zeit an einem gewissen Ort, redet miteinander. 5:27 Anja Redecker Ihr konzentriert euch dabei schon auf Theatersituation oder steckt ihr das Feld, in dem ihr agiert, noch ein bisschen weiter? 5:35 Jonas Feller Wir kommen alle irgendwie oder größtenteils kommen wir aus dem Theaterbereich und das ist zumindest der Bereich, aus dem heraus wir angefangen haben zu arbeiten. Und wir sind inzwischen aber auch schon in andere Bereiche irgendwie mit weitergewandert. Also wir haben auch schon mal ein Filmfestival begleitet, wir haben eine kritische Sommeruniversität der Uni Kassel begleitet, wir haben mal eine Bewerbung geschrieben, um uns für ein Pornofestival-Nachgespräch anzubieten, was leider bisher noch nicht geklappt hat. Genau. Und wir haben aber die Mitglieder… Also unsere Mitglieder, unsere 13 Leute, die wir sind, kommen aus unterschiedlichsten Bereichen und das ist uns natürlich auch sehr wichtig, dass wir alle nicht hauptberuflich nur Gesprächs- und StifterInnen oder KulturvermittlerInnen sind, sondern dass wir alle noch einen anderen Fokus haben. Das heißt, wir sind teilweise KünstlerInnen, wir haben aber auch jemanden dabei, Techniker, wir haben jemanden dabei, der Sozialpädagoge, wir haben Leute dabei, die sind aus der politischen Bildung. Und all diese Bereiche bringen irgendwie anderen Input immer noch mal rein oder andere Perspektiven und sorgen auch dafür, dass wir irgendwie auf andere Bereiche unsere Arbeit auch anwenden können und wollen. 6:44 Anja Redecker Und trotzdem heißt ihr Geheimnis Dramaturgische Gesellschaft. Wie seid ihr auf diesen Namen gekommen? 6:51 Jonas Feller Das Ganze ist aus einem Witz entstanden. Auf dem ersten Einsatz, wo wir waren. Damals haben wir uns noch Basislager genannt, was jetzt vor allem eigentlich eines unserer Formate ist, nämlich ein Ort, an dem viel gesammelt und dokumentiert wird. Und wir sind damals darauf gekommen, dass das, was uns eigentlich an Festivals interessiert - denn das ist, was wir viel machen, wir beobachten und begleiten Festivals - sind die Dramaturgien eines Festivals, die unter dem Festival liegen und die gar nicht unbedingt inhaltliche Dramaturgien sind, sondern etwas sind, wie: Wann sind eigentlich Pausen? Wer hat Zugang? Wer hat keinen Zugang? Wo können sich Leute begegnen? Wie passieren die Wege zwischen den Orten? Also diese ganzen Zwischenräume? Und wir haben die irgendwie mehr getauft als: Das sind eigentlich „geheime Dramaturgien“, weil niemand über sie spricht oder weil sie niemand wahrnimmt. Und daher kommt dieser Name. 7:40 Anja Redecker Umso mehr macht es wahrscheinlich Sinn, dass ihr interdisziplinär aufgestellt seid. Also, wie du es beschreibst, klingt das für mich ein bisschen, als wären auch BühnenbildnerInnen und RaumgestalterInnen in solchen Analysen von geheimen Dramaturgien ganz wertvoll und elementar. 7:59 Jonas Feller Tatsächlich ist niemand von uns aus dem Bereich, aber wir interessieren uns, glaube ich, alle dafür. Und das Thema Raum ist eins, was viel Raum einnimmt in unserer Arbeit oder viel mitgedacht wird. Also auf einem Festival… Das Festivalzentrum selbst ist ein unglaublich wichtiger Raum, ein Knotenpunkt, ein Kommunikationspunkt, wo Dinge zusammenlaufen. Das Gleiche erfüllen zum Beispiel Foyers in Theatern oder so. Und diese Räume sind, wenn sie konzeptionell mitgedacht werden, total wertvoll. Und wenn sie das nicht getan werden, dann sind sie häufig Orte, die eigentlich nicht einladend sind und in denen auch nichts passiert. 8:37 Anja Redecker Und du sprichst davon, dass sehr viel auf Festivals arbeitet. Würdest du sagen, ihr bewegt euch eher in der freien Szene oder arbeitet ihr auch mit Stadt- und Staatstheatern zusammen? An wen richtet ihr euer Angebot oder wer spricht euch an? 8:51 Jonas Feller Wir sind da gar nicht festgelegt. Also wir sind auf den Festivals der freien Szene, auch der Amateurtheaterszene, tatsächlich ich auch viel im Schultheater unterwegs, aber auch auf Festivals, wo institutionelle Häuser spielen. Wir haben tatsächlich sehr viel auch im Bereich Kinder- und Jugendtheater gemacht, vor allem mit dem Wildwechsel-Festival schon über mehrere Jahre. Und dort kommen sowohl freie Gruppen als auch feste Häuser, die dort spielen. 9:19 Anja Redecker Kannst du was dazu sagen? Wo findet das Wildwechsel-Festival statt? 9:23 Jonas Feller Das ist das Kinder- und Jugendtheater-Festival der ostdeutschen Bundesländer und es wechselt alle zwei Jahre seinen Ort. Also es findet alle zwei Jahre statt und wechselt den Ort. Und das letzte jetzt, letzten Herbst, war in Bernburg. 9:35 Anja Redecker Okay. Ich würde gerne ein bisschen darüber erfahren, was eure Motivation ist, in diesem sehr spezifischen Feld der Künste zu arbeiten. Ich habe in meiner Recherche gesehen, 2019 hat die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters das Förderprogramm Kulturelle Vermittlung und Integration – so heißt das – hat das fortgeführt und hierfür verschiedene Ziele benannt. Unter anderem kulturelle Teilhabe ermöglichen und auch mehr Menschen erreichen, die bisher – so sagt sie – „kaum oder gar keine kulturellen Angebote nutzen.“ 10:08 Musik [Dynamische Musik] 10:17 Anja Redecker Ein Auszug aus der Pressemitteilung von 2019, der die Wiederauflage der erwähnten Bundesförderung ankündigt, lautet so: „Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, unterstützt mit dem Programm Kulturelle Vermittlung und Integration modellhafte Projekte der Kultureinrichtungen. Ziel ist es, möglichst vielen Menschen die Teilhabe an sozialem und kulturellen Leben zu ermöglichen. Unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion und sozialer Lage sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum.“ Monika Grütters sagte: „Damit gesellschaftliche Integration gelingt, müssen wir dafür sorgen, dass wir Kultur und kulturelle Bildung für alle zugänglich machen. Mit ihren identitätsstiftenden und breitgefächerten Projekten tragen unsere Kulturinstitutionen maßgeblich dazu bei, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen. Als Orte der Begegnung sind sie dafür prädestiniert, immer mehr Menschen zu erreichen, die bisher kaum oder gar keine kulturellen Angebote nutzen.“ 11:14 Musik [Dynamische Musik] 11:20 Anja Redecker Würdest du sagen, das entspricht auch ein bisschen eurem Anliegen oder habt ihr da einen anderen Fokus? 11:26 Jonas Feller Ich würde sagen, unser Fokus liegt weniger auf dem Bereich von Audience Development oder sozusagen dem Erschließen neuer Publika, sondern eher darauf, mit denen, die schon da sind, zu arbeiten. Es liegt ganz viel darin, dass wir vor allem auf Festivals arbeiten und als Externe für Festivals arbeiten. Das heißt, wir sind nicht so was wie ein Vermittlungsarm, der noch mal versucht, neues Publikum für das Festival zu gewinnen, sondern sich das Publikum anschaut, das kommt oder was da ist, was dieses Festival hat und schaut: Wie kommt denn dieses Publikum eigentlich zusammen? Denn auch dieses Publikum ist schon sehr durchmischt, sehr unterschiedlich. Da haben wir KünstlerInnen, die dort sind, da haben wir das Fachpublikum, was dort ist, da haben wir manchmal, häufig oder oft und hoffentlich oft das Publikum aus der Stadt, was kommt. Und je nachdem, in welchem Bereich man sich bewegt. Also wenn zum Beispiel das Kinder- und Jugendtheater ist, haben wir dann noch einen Unterschied auch zwischen Erwachsenen- und Jugendlichen- oder Kinderpublikum. Und diese Publikumsgruppen sind alle irgendwie auf diesem Festival und alle wollen was von diesem Festival, aber die Begegnungsräume, die Austauschräume sind meistens gar nicht unbedingt da. Und das ist ein bisschen unklar. Wie begegnen sich diese Gruppen eigentlich? 12:38 Anja Redecker Gerade bei einem Festival wahrscheinlich, wo es viele Programmpunkte gibt, die schnell aneinander anschließen. 12:44 Jonas Feller Genau. Und daher ist unser Anspruch zu sagen: Wie kriegen wir diese Gruppen denn eigentlich mit in das Gespräch miteinander? Und das hat natürlich angefangen bei der Frage: Wie kriegen wir eigentlich KünstlerInnen und Publikum miteinander ins Gespräch? Und das klassische Beispiel, was man da zur kennt, ist das Podiumsnachgespräch, wo ein Dramaturg, eine Dramaturgin vorne sitzt und das Produktionsteam Fragen stellt und das Publikum hört zu und darf am Ende vielleicht auch noch mal Fragen stellen. Und das setzt ja… Eine bestimmte Gesprächssituation ist das. Wir haben dort weiterhin eine Art Bühnensituation, frontal Situation, wo die einen etwas präsentieren und das Sprechen und die anderen zuhören bzw. zuschauen. Und die Frage ist aber: Sind das eigentlich die Interessen der beiden Gruppen, die dort aufeinander treffen? Und in unserem Gründungsmythos quasi ist genau die Frage danach und das Aufbrechen, das Gegengehen gegen dieses Format begründet, weil wir alle, die wir damals quasi das gegründet haben, als sowohl KünstlerInnen gearbeitet haben als eben auch natürlich immer wieder Publikum sind von Theater. Und wir aus der Perspektive des Publikums, das viele hatten, uns befriedigen diese Form von Gesprächen eigentlich nicht, weil: Wir finden es viel interessanter, mit den anderen Menschen im Publikum in Austausch zu treten. Was hat denn diese Aufführung eigentlich mit uns gemacht? 14:02 Jonas Feller Also die Gespräche, die so am Küchentisch danach stattfinden, auf dem Weg nach Hause, in der RaucherInnenecke, an der Bar, die aber eben diesen kleinen intimen Räumen bleiben und auch immer nur mit den Leuten passieren, die man kennt. Und wie können wir aber mit dem anderen Publikum, das wir eigentlich nicht kennen, in Austausch treten? Und aus Perspektive von KünstlerInnen, die wir ja auch sind, haben wir großen Frust an diesen Gesprächen, weil wir das Gefühl haben: Wir haben eigentlich nichts so richtig davon. Wir sind da vorne noch mal, erklären unsere Arbeit wahrscheinlich zum x-ten Mal. Es kommt die Frage: Wie kann man sich all den Text merken? All diese Dinge, die wahrscheinlich alle SchauspielerInnen schon sehr oft gehört haben und auch vielleicht über sind auf eine Weise. Aber wir haben gemerkt, als KünstlerInnen interessiert uns ja viel mehr zu erfahren: Was hat denn das Publikum eigentlich erlebt? Was macht die Arbeit mit denen, die wir da gezeigt haben? Und da treffen sich dann ja diese beiden Interessen wieder, dass es darum geht, das Publikum hat was erlebt, worüber es sprechen kann und wie als KünstlerInnen haben Interesse daran, das zu hören. Genau. 15:04 Anja Redecker Ja, ich kann das aus meiner Arbeit als Dramaturgin unterstreichen, dass meine Erfahrung auch mit Publikumsgesprächen, die genauso stattfinden, wie du sie beschreibst, nämlich auf einem Podium etwas extrem Unbefriedigendes haben. Einerseits bin ich als Dramaturgin, die irgendwie verantwortlich ist für diese Situation, häufig sehr gestresst, die Situation im Blick zu behalten und im Griff zu behalten. Andererseits fühlt es sich für alle Beteiligten auf dem Podium häufig wie eine zusätzliche und etwas ungeliebte Aufgabe an. Und eben genau wie du sagst: Es entsteht kein richtiger Austausch, aus dem für die eigene künstlerische Arbeit etwas Neues entstehen kann. Und ein Aspekt, der mir in solchen Situationen auch immer auffällt, ist insbesondere, wenn wir von dieser Situation ausgehen: Es gibt ein vielleicht sogar räumlich erhöhtes Podium oder so. 15:58 Anja Redecker Es gibt einfach auch so ein enormes Machtgefälle, das häufig in den Stücken, die vorher gezeigt werden, häufig auch schon da ist und von wo ich aber von vielen KünstlerInnen weiß, dass sie selbst schon in der Performance oder im Theaterstück selbst dieses Machtgefälle eigentlich nicht besonders schätzen. Und wenn das dann auch noch reproduziert wird, in einem Nachgespräch, verstärkt das auch so ein bisschen die Distanz zwischen dem Bühnengeschehen und dem Publikum. Spielt diese Frage von Macht und Machtgefälle zwischen diesen - also wie trennen sie ja gerade extrem - von diesen beiden Instanzen Kunst und Publikum für euch auch eine Rolle in euren Überlegungen? 16:40 Jonas Feller Absolut, denn es ist genau, wie du gerade gesagt hast. Es gibt irgendwie noch dieses Bild des Künstlergenies, was irgendwie dasteht und dessen Arbeit ich als Publikum irgendwie zu verstehen habe und auch, wo es die eine richtige Lesart gibt. Und eigentlich ist es ja aber genau andersrum. Es gibt da dieses Kunstwerk und das hat jemand geschaffen. Und jetzt geht es um die Frage: Was, was… Was erzählt es den Leuten? Was empfinden Leute? Was erfahren Leute, wenn sie damit in Kontakt kommen? Und das ist das, was ja eigentlich, was dieses Kunstwerk schafft. Und wenn man es ein bisschen zuspitzen will, dann ist irgendwie… Jedes Kunstwerk, was zusätzlich erklärt werden muss, hat vielleicht seinen Weg erst mal auf eine Weise verfehlt, weil es erst mal auch für sich stehen sollte oder können sollte. Und man kann es andersherum fassen; dass, wenn man das Kunstwerk und sozusagen das Publikum, was dem begegnet, als eine Art Dialog versteht, dann haben die KünstlerInnen damit, dass sie etwas auf die Bühne gestellt haben, sich bereits positioniert, sie haben sich auch angreifbar gemacht. Sie haben sich präsentiert und zwar erst mal: Sie haben sich auf eine Weise nackig gemacht. 17:47 Jonas Feller Und jetzt ist das Publikum an der Reihe zu sagen: Okay, was macht es da jetzt mit mir? Und sozusagen das Publikum ist jetzt dran, sich angreifbar zu machen, sich zu positionieren zu dem, was sie da eigentlich erlebt haben. Und das, glaube ich, ist ein Prozess, der ist schwierig zu vermitteln an so beide Seiten. Ich glaube, für die KünstlerInnenseite kann man das ganz gut verständlich machen, wenn man sagt: Hey, ihr erfahrt da ja auch Dinge, was eure Arbeit auslöst. Und es ist… Ihr habt euch damit präsentiert. Jetzt unterstelle ich euch einfach mal ein Interesse daran, auch zu erfahren, was es denn eigentlich macht. Und das Publikum wiederum muss man natürlich dazu ermächtigen und sagen: Hey, ihr dürft eure eigene Meinung dazu haben, ihr habt eine Erfahrung gemacht und diese Erfahrung ist wahr. Egal, ob ihr es so interpretiert, wie es intendiert war oder so. Aber diese Erfahrung gemacht. Und auch, wenn ihr es langweilig fandet, ist das eine sehr valide Erfahrung und darüber kann man sprechen. 18:44 Anja Redecker Ja, ich glaube, das ist tatsächlich ein ganz entscheidender Punkt, wenn man über Vermittlung spricht. Du merkst, ich bleibe so ein bisschen an diesem Begriff hängen, auch aus Gewohnheit natürlich. Denn wenn ich daran denke, wie ich selbst als Publikum, also wenn ich im Publikum sitze, auf Nachgespräche und Diskurse nach Performances reagiere, merke ich, dass ich sehr zurückhaltend bin, sehr vorsichtig. Obwohl ich selbst ja gewissermaßen vom Fach bin, verspüre ich immer einen großen Druck, irgendwie auch das Richtige zu sagen, das richtige Verständnis von dem Gesehenen zu haben, nicht blöd dastehen zu wollen. Und ich kann mir vorstellen, dass das für Menschen, die vielleicht auch zum ersten Mal ins Theater gehen oder generell nicht so häufig ins Theater gehen, eine noch viel schwierigere Hürde ist, ihre Meinung als valide zu sehen. 19:33 Anja Redecker Und insofern scheint mir das fast wie eine Aufgabe zu sein, wie du es auch schon beschrieben hast: Wir sind generell einen Turn anzustoßen. Zu sagen: Eben die Macht geht eigentlich ans Publikum ein Stück weit über, sobald da etwas auf die Bühne gestellt wird. Denn es wird ja gewissermaßen dorthin gestellt, aber auch abgegeben. Denn alles, was dann passiert und was in einem Probenprozess intendiert wurde, ist letztlich dann auf der Bühne zu sehen und für ein Publikum aber ganz anders zu begreifen im Zweifelsfall. Also ein Publikum hat ja dann letztlich die Deutungshoheit und macht das Stück zu seinem. Und das kann, denke ich, zumindest auch eine ganz große Qualität haben, wenn man es eben schafft, wie du sagst, eine Ermächtigung und Ermutigung herbeizuführen, dieses Selbstverständnis zu generieren auf Publikumsseite. 20:26 Jonas Feller Und dieses Machtgefälle vielleicht aufzubrechen oder umzudrehen, geht häufig schon mit ganz einfachen Mitteln zustande. Du hast vorhin schon angesprochen, manchmal sitzt dieses Podium sogar erhöht. Also es wird einfach sozusagen etwas reproduziert, was vorher schon aus dem Bühnenraum kam. Es gibt eine Bühne, auf die ich gucke, ich weiß: Dort bin ich die Person als Publikum, die jetzt still zu sein hat, zuzuhören hat. Und das wird, wenn ich eine Situation habe, mit Stühlen am Podium davor eigentlich wieder reproduziert. Und wenn man das allein schon aufbricht, also die Raumsituation aufbricht, und sei es nur einen Kreis, macht sich schon ganz viel. Das verändert diese Situation, es bricht die eingeübten Muster auf. Es ist genauso, wie wenn man ein Nachgespräch mit Schulklassen nicht im Klassenraum durchführt, sondern woanders. Das macht was mit dieser Schulklasse, weil sie im Klassenraum etwas ganz anderes gewohnt sind. 21:19 Anja Redecker Es gibt eine Kulturwissenschaftlerin, Carmen Marsch. Ich weiß nicht, ob du von ihr gehört hast. Aber die beschreibt verschiedene Wirkungsweisen von Vermittlungen. Und eine Wirkungsweise, die sie beschreibt und, ich glaube, zu der sie eine gewisse Sympathie empfindet, ist die transformierte Wirkungsweise. Das heißt, dass Vermittlungsformate eben nicht nur selbst bestätigend sind und nicht nur in eine Richtung funktionieren kommunikativ, sondern dass sie im Gegenteil transformative Wirkung zurück haben, insbesondere in eine Theaterstruktur. 21:54 Musik [Dynamische Musik] 21:56 Anja Redecker Carmen Marsch ist Künstlerin, Kulturwissenschaftlerin und Kunstvermittlerin. Sie hat sich auf theoretischer und praktischer Ebene viel mit Vermittlungen auseinandergesetzt und spricht unter anderem von verschiedenen Wirkungsweisen von Vermittlung. Entweder affirmativ, also gerichtet ein eingeweihtes Publikum, oder reproduktiv, gerichtet an ein junges Publikum, oder kritisch, wenn die Institution hinterfragt und das zu Vermittelnde ebenfalls kritisch beleuchtet wird und das Publikum eingeladen wird, eine eigene Position zu finden, oder aber transformativ, also mit dem Zielen auf Veränderung der Institution selbst. 22:38 Musik [Dynamische Musik] 22:40 Anja Redecker Da würde mich interessieren, ob ihr euch mit dieser Frage auch beschäftigt; inwieweit quasi Gesprächsformate Austausch, Austausch, Ideen und Momente dazu führen können, dass tatsächlich eine Transformation der Kunststruktur dahinter, sei es ein Festival oder ein festes Haus oder dergleichen, passieren kann. 23:06 Jonas Feller Geht es dir jetzt eher um die Produktionsprozesse oder um die größeren Strukturen, auch der der Häuser oder Festivals dahinter? 23:14 Anja Redecker Beides tatsächlich. Ich glaube, es hängt ein bisschen davon ab, in welchem Kontext wir sprechen, ob es ein freie Szeneprojekt ist, wo gar keine also Hausstruktur dahinter steht oder ob wir über Formate sprechen in einem Staatstheater, wo tatsächlich ja etliche Strukturen dahinter stehen. Und auch hinsichtlich vielleicht einer künstlerischen Formsprache oder so, wenn ich als Gruppe ein Theaterstück präsentiere und im Nachhinein in einen Austausch mit dem Publikum komme. Denn wirklicher Austausch ist: Inwieweit kann das auch transformative Wirkung auf meine eigene Arbeit haben? 23:52 Jonas Feller Ich denke, das hat es in jedem Fall in dem Moment, wo ich anfange, mich mit meinem Publikum noch mal anders zu beschäftigen und einen Rücklauf dazu bekomme, wie es eigentlich zu dem, was ich da produziert habe, sich verhält und was es daraus zieht, lerne ich natürlich ganz viel über die Mechanismen und kann dann vielleicht imselben Projekt und wenn es sozusagen noch im Bearbeitungsprozess ist oder ich sozusagen sage: Okay, wir überarbeiten es noch mal; natürlich direkt umsetzen und sonst vielleicht einfach dann im nächsten Projekt. Und ich würde sagen, es ist eine Bewegung, die auf mehreren Ebenen passiert. Also sozusagen das Interesse am Austausch mit einem Publikum oder mit einer Öffentlichkeit außerhalb der eigenen Produktionsblase ist ja was, was sowohl im Nachhinein passieren kann, aber auch in vielen Fällen auch schon im Vorhinein passiert wird. Also indem Probenprozesse geöffnet werden oder eben Feedbackprozesse gemacht werden. Sei es durch offene Proben oder so, oder indem man zum Beispiel mit dem Zielpublikum gemeinsam eigentlich an Fragestellungen arbeitet, um zu gucken: Was interessiert die dann eigentlich daran? 25:01 Jonas Feller Das ist natürlich jetzt vor allem etwas, was für Stückentwicklung gilt und für die Inszenierung eines bestehenden Textes vielleicht weniger, aber das sind, glaube ich, Prozesse, die passieren und wo das Nachgespräch oder eben der Austausch nach der Aufführung ein Aspekt von sein kann. Und ich glaube, insofern bedingt es dann auch wiederum die Strukturen von den Institutionen dahinter. Also sei es eben das Haus, sei es das Festival, was sich dazu entscheidet, diese Prozesse zu öffnen und auch zu sagen: Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, das Theater eine Stunde vor Beginn zu öffnen, Leute können kommen, können sich das anschauen und dann können sie wieder gehen. Aber was es mit ihnen macht, hat bitte bei ihnen zu bleiben. Sondern zu sagen: Das interessiert uns; wir verstehen uns als den Ort, wo dieser Austausch auch stattfinden kann. Und sagen nicht: Das ist jetzt euer Problem, das ist das, was ihr bitte alleine zu tun habt. 26:03 Anja Redecker Ich selbst habe lange bei einem Projekt gearbeitet, hier in Hamburg, auf einer kleinen Elbinsel Veddel mit dem Titel „New Hamburg“. Eine Kooperation vom Deutschen Schauspielhaus und dem evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Hamburg Ost und der Kirchengemeinde vor Ort, wo wir über viele Jahre hinweg in einem ganz engen Austausch standen mit den Menschen vor Ort und vor allem partizipative Projekte entwickelt haben. 26:30 Musik [Dynamische Musik] 26:32 Anja Redecker Seit 2014 werden in einem kleinen Inselstadtteil im Hamburger Süden partizipative Kultur- und Diskursprojekte entwickelt. Vom Theaterstück zur Staatenlosigkeit über performative Installationen anlässlich des G-20-Gipfels bis hin zu einem zweiwöchigen Festival zum Thema der solidarischen Stadt. Ein Kerngedanke von New Hamburg ist es, Verbindungen zwischen Menschen herzustellen, die sonst vermutlich nicht zustandekämen. Neben dem Programmangebot bemüht sich das Projekt daher vor allem, erstens: um eine aktive und persönliche Einladungspolitik, zweitens: um einen niedrigschwelligen Zugang zum Angebot, zum Beispiel durch das „Pay what you want“-Prinzip, und drittens: um ein gastfreundliches Setting und die aktiv gestaltete Möglichkeit zum Austausch zum Beispiel durch gemeinsames Essen nach dem Theaterstück, Lagerfeuer oder geführte Gesprächsrunden im gemütlichen Café. 27:28 Musik [Dynamische Musik] 27:30 Anja Redecker Du hast vorhin, als wir uns kurz vor der Aufnahme unterhalten haben, erzählt, dass du auch selbst im partizipativen Kontexten arbeitest. Und mich würde interessieren, Inwieweit du auch diese Arbeit als Form von Vermittlung begreifst oder ob das für dich ein ganz anderes Paar Schuhe ist. 27:50 Jonas Feller Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich eigentlich so eine klare Grenze irgendwo ziehen würde zwischen: Bis dahin ist es Vermittlung und ab da ist dann was anderes und da ist dann die Kunst. Ich glaube, das geht irgendwie ineinander hinein. Eben. Ich verstehe Kunst als ein Kommunikationsprozess. Also es ist dann, die Kunst zu produzieren, zu zeigen und das vonseiten des Publikums, diese Kunst zu rezipieren. Das ist eine Form von Dialog, der da anfängt. Und der aber ganz klar, da nicht aufhört, sondern der davor beginnt und der danach weitergeht. Und deswegen würde ich… Deswegen würde ich das, glaube ich, gar nicht so sehr unterscheiden. 28:33 Anja Redecker Ja, mein Eindruck ist so ein bisschen aus den Erfahrungen, die ich auch in diesem Projekt gemacht habe, dass ein vermittelnder Aspekt dessen vielleicht auch daran liegen könnte, eine gewisse Zugangshemmnis zu Theater und Kultur zu reduzieren, dadurch, dass die Prozesse eben offengelegt werden. Also: Wie funktioniert eigentlich ein Probenablauf? Wer ist daran beteiligt? Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen meinetwegen Regie und Bühnenbild und den Schauspielenden? Und darüber hinaus habe ich ja auch den Eindruck – weil wir vorhin nur kurz das Thema Publikumsakquise gewissermaßen angesprochen haben –, dass auch die Beteiligung von Menschen in partizipativen Projekten, zum Beispiel in BürgerInnenbühnen oder dergleichen auch dazu führt, dass noch mal ein anderes Publikum sich eher eingeladen fühlt, als Publikum teilzunehmen tatsächlich. Seien es Freunde, Freundinnen, Verwandte der Beteiligten und dadurch vielleicht so ein erster Schritt entstehen könnte, Theater als einen Ort wahrzunehmen, der auch mich selbst einlädt, was ich vielleicht vorher nicht so empfunden habe. 29:45 Jonas Feller Absolut. Theater behaupten ja häufig auch von sich selbst eigentlich, Orte der Demokratie zu sein und eben für die Bevölkerung einer Stadt oder eines Stadtteils. Und ich glaube, das sind sie in Teilen schon. In Ganz vielen Teilen sind sie es aber auch nicht und sie bauen Hürden auf. Und diese Hürden in Teilen auch irgendwo mal einzureißen oder neue Wege zu gehen, sind genau der Weg zu gucken: Wie können wir das denn vielleicht offener gestalten? Und auch da fängt es bei banalen Dingen an. Die Preise in der Bar des Theaters oder so. Laden die mich ein, danach doch da zu bleiben oder kann ich es mir nicht leisten und denke mir: Gut, dieser Ort ist nicht für mich, deswegen gehe ich wieder? Bei dem ersten Wildwechsel-Festival, wo wir waren - das war 2015, damals war es in Weimar -, gab es die große Eröffnung auf dem Theatervorplatz vor dem DNT und mit partizipativen Projekten mit… ich glaube, eine Tanzgruppe war dort, weiß es nicht mehr ganz genau. Also dort ist was auf dem Platz passiert und dann ging es ins Theater hinein zur Eröffnung, zur eigentlichen Eröffnungsveranstaltung. 30:48 Jonas Feller Und dieses Event auf dem Platz hat das Interesse von zum Beispiel einer Gruppe Jugendlicher, die dort Wodka trinkend vor dem Theater saßen erregt. Und Die hatten Interesse mit ins Theater reinzukommen und wurden dort dann aber auch aufgehalten. Und gesagt: Nee, ihr könnt jetzt hier auch nicht rein. Nicht weil sie betrunken waren, sondern weil sie halt einfach kein Ticket hatten, weil sie sich ein Ticket hätten kaufen müssen. Und es gibt sicherlich Gründe, weswegen das Theater dann entschieden hat, sie nicht reinzulassen. Das hat was mit Kapazitäten zu tun. Aber gleichzeitig sind das Momente, wo man sagt: Wie kann man denn diese Institutionen öffnen? Wie kann man Leute einladen, die, wenn sie kommen, auch reinkommen können? Wie kann man überhaupt erst mal… Und das, das passiert ja durch solche Sachen wie auf dem Vorplatz. Es wird ein Interesse geschaffen. Leute sehen vielleicht das erste Mal dieses Theater mehr als dieses große Bauwerk, sondern im Theater passiert etwas, was mich interessiert. Okay, ich schaue mir das mal an, ich gehe mal vielleicht rein. 31:44 Anja Redecker Ich glaube, genau bei dem Beispiel kann man auch sehr konkret darüber nachdenken: Wie sieht denn eigentlich eine Haltung innerhalb eines Hauses aus? Und zwar nicht nur in der Dramaturgie, im Ensemble und bei der Regie oder der Intendanz meinetwegen, sondern auch in Abteilungen, die vielleicht eher nicht in erster Linie zum künstlerischen Bereich zugeordnet werden, zum Beispiel im Vertrieb im ganzen Vorderhaus, Personal, also Einlass, Kasse, dergleichen. Gibt es Momente, wo ihr… oder… Hattet ihr schon Aufträge, wo ihr auch Gespräche innerhalb von Häusern von Strukturen angestiftet habt, um über genau solche Haltungen zu sprechen zum Beispiel? Oder wäre das etwas, was euch interessiert? 32:28 Jonas Feller Das interessiert uns absolut. Bisher haben wir es vor allem für kleinere und freie Häuser gemacht, die einfach aber auch sehr viel kleiner sind und dadurch ohnehin schon diese Strukturen haben, dass alle mehr miteinander reden müssen, zwangsläufig, weil jede Abteilung vielleicht nur aus einer Person besteht oder so. Und dort haben wir so was wie Klausuren oder so begleitet. Und genau solche Prozesse noch mal angestoßen, mit ihnen gedacht: Wie können denn eigentlich alle beteiligt sein? Was sagt der Techniker eigentlich zu den Produktionen, die er immer betreut? Weil: Die sehen sehr viel. Die sehen unglaublich viele Produktionen diesem Haus. Wahrscheinlich mehr als ein Großteil der Menschen, die dort arbeiten. Die haben einen unglaublichen Blick dafür. Aber sie werden eigentlich selten gefragt, außer zu ihrer jeweils sehr spezifischen Perspektive, was die Technik angeht. Und da zum Beispiel jetzt auch zu überlegen: Wie kann man denn… Wenn wir zum Beispiel auf Festivals arbeiten, wo verschiedene Theater kommen, dann gibt es ganz häufig Delegationen von Theatern, die dort sind. Das sind dann natürlich die Ensembles, die das Stück jeweils spielen, meistens noch Regisseur, Regisseurin, wenn die nicht schon wieder abgereist ist und woanders Aufträge hat und dann meistens jemand eben aus der Intendanz oder aus der Dramaturgie, vielleicht noch aus der Theaterpädagogik. 33:41 Jonas Feller Aber interessanterweise sind ja immer auch TechnikerInnen der Theater mit dabei. Die sind nur nie bei diesen Gesprächen, weil sie nämlich meist in der Zeit auf und abbauen müssen. Aber es gibt sie und sie sind auf diesem Festival. Man könnte sie, dieses Potenzial eigentlich mehr anzapfen und sagen: Hey, wollt ihr euch nicht miteinander mit uns austauschen? Und auch alle anderen müssen sagen: Wir haben Interesse daran, dass diese Perspektive mit reinkommt. Interessant wird es ja auch, wenn man noch ganz andere Bereiche mit reinholt, wie das Kassenpersonal, das Einlasspersonal, also ein Personal, was in ganz, ganz engem Kontakt mit dem Publikum steht. Aber das in solchen Fragen eigentlich nie konsultiert wird, was nie gefragt wird. 34:21 Anja Redecker Würdest du die Aufgabe von Vermittlung oder in Kontaktkommen mit dem Publikum bei bestimmten Abteilungen im Theater sehen oder bei bestimmten Personen? 34:34 Jonas Feller Ich selbst bin ja gar nicht so sehr in diesen Stadt- und Staatstheaterstrukturen unterwegs und kriege die immer nur eben mit, wenn wir mal mit Theatern arbeiten. Deswegen fällt mir das schwer, das, glaube ich, von außen zu beurteilen, wo genau das gut angesiedelt ist. Was mein Eindruck ist, ist dass in den letzten Jahren ein Wechsel stattgefunden hat, dass diese Vermittlung und dass Austausch als eine eigene Aufgabe gesehen wird. Und das muss noch gar nicht mal sein, dass das eine eigene Stelle ist, aber zumindest eine Aufgabe, die Zeit und Ressourcen braucht und dass das nicht mal so eben auch noch die Theaterpädagogik oder die Dramaturgie machen kann, weil: Die kennen sich doch damit aus. Sondern auch die, wenn sie es machen sollen, brauchen dafür Zeit und brauchen die Ressourcen. Und ich glaube, ganz egal, wo man es anlegt, ist es wichtig, diese Rahmenbedingungen zu geben oder sie mitzudenken. Wenn man sagt, unser Festival soll ein Festival sein, wo Leute sich austauschen, dann muss man dafür auch die Mittel zur Verfügung stellen. Und wir haben das Glück, dass Festivals uns buchen, genau für so was. Das heißt, wir gehen so ein bisschen diese Lücke rein, eine Nische, von der wir ja auch nicht wussten, dass sie existiert, bevor wir angefangen haben. Aber sie scheint zu existieren und das führt dazu, dass wir irgendwie viel arbeiten können und das auch tun. Es hätte von uns, glaube ich, niemand erwartet, als wir angefangen haben. 35:55 Anja Redecker Du hast schon angesprochen: Die Rahmenbedingungen sind eigentlich das Entscheidende. Vielleicht können wir ein bisschen darüber sprechen, wie ihr eigentlich vorgeht, wenn ihr gebucht werdet, wenn ihr Gespräche anstiften wollt. Was sind die ersten Fragen, die ihr euch stellt oder die ihr mit denen besprecht, die euch gerufen haben? 36:14 Jonas Feller Ich glaube, die erste Frage ist Was ist eigentlich der Gegenstand, über den gesprochen werden soll? Und wer kommt? Beziehungsweise es sind, glaube ich, sehr viele Fragen, die gestellt werden. Und je nachdem, auf welche Fragen schon Antworten bestehen, hat das unterschiedliche Auswirkungen. 36:30 Anja Redecker Ich wollte gerade fragen, weil: Auf die Frage „wer kommt“, würde mich interessieren, ob es darauf immer eine Antwort gibt. 36:38 Jonas Feller Bei Festivals tatsächlich sehr oft schon, weil die Festivals wissen, dass sie ein bestimmtes Fachpublikum ziehen. Sie wissen auch meistens schon, dass sie irgendwie ein Großteil ihrer Karten zum Beispiel an dieses Fachpublikum vergeben haben, dass es so und so viele Ensembles gibt, die auf diesem Festival spielen, die deswegen auch kommen und das nur zum Beispiel ein kleiner Prozentsatz der Karten überhaupt in den freien Verkauf gehen kann. Oder Sie wissen schon: Hey, wir sind ein Kinder- und Jugendtheaterfestivals, wir kooperieren ganz viel mit Schulen; wir wissen, dass mehrere Schulklassen kommen und die haben ungefähr das Alter. Tatsächlich wissen die das häufig sehr genau. Sobald wir natürlich im Bereich der einzelnen Aufführungsveranstaltungen sind, ist das schwieriger. Das machen wir tatsächlich selten, aber wir machen es auch, dass wir quasi für Abendveranstaltungen oder auch Tagsüber-Veranstaltungen mal Nachgespräch anbieten. Und da ist es sehr viel schwieriger, das konkreter zu sagen: Wer kommt denn da eigentlich? Und da kommt es dann auf die Expertise der Häuser drauf an, auch zu wissen: Wer ist denn eigentlich das Publikum ihres Hauses? Und das können die aber meistens auch sehr gut einschätzen und sagen. 37:42 Anja Redecker Okay, also wir haben die Frage: Was ist der Gegenstand? Und wir haben die Frage: Wer kommt? 37:49 Jonas Feller Und dann ist natürlich noch eine weitere Frage: Was ist eigentlich die Zielstellung? Also von wem kommt der Auftrag auch? Ist es eine Institution, die sagt: Wir wollen ein Angebot schaffen, für das Publikum. Oder ist es ein Auftrag von den KünstlerInnen, die sagen: Wir wollen ganz explizit Feedback zu unserer Arbeit vom Publikum. Oder ist es ein Auftrag von einem Landesverband, der sagt: Wir wollen hier den Fachaustausch des Fachpublikums untereinander. Oder eben einer pädagogischen Abteilung, die sagt: Wir wollen ganz explizit, dass die Schulklassen noch irgendwie ein Zusatzprogramm bekommen. Und interessant wird es immer in den Momenten, wo mehrere Gruppen miteinander ins Gespräch kommen sollen. Das ist dann, glaube ich, das, was wir ganz häufig darauf antworten, wenn Leute sagen: Wir haben diese Gruppen, die auf diesem Festival sind. Wir sagen: Okay, dann sehen wir es jetzt als unsere Aufgabe, diese Gruppen miteinander ins Gespräch darüber zu bringen, weil: Es ist anscheinend das Publikum eures Festivals oder eurer Veranstaltung. 38:49 Anja Redecker Gibt es für dich, wenn ihr darüber ins Gespräch kommt, was die Zielsetzungen sind für solche Austauschformate, gibt es für euch Antworten, wo ihr sagt: Mit dem Ziel gehen wir nicht mit? 39:03 Jonas Feller Ich glaube, wir sind erst mal sehr offen für vieles. Wir haben aber als eigene Haltung schon sehr klar den Anspruch, dass wir eigentlich gerne das Publikum miteinander ins Gespräch bringen wollen, weil wir glauben, dass das die die Perspektive oder die Form ist, die seltener stattfindet und wir das Gefühl haben dort, die muss man mehr hervorkitzeln, für die muss man Räume schaffen, weil: Alle anderen sind schon eingeübt. Also dass ich als Publikum den KünstlerInnen Fragen stellen kann, ist eine eingeübte Praxis. Für die müssen wir nicht ein Format anbieten und das wollen wir auch nicht, weil: Das interessiert uns selbst eigentlich nicht so sehr. Es ist, damit will ich dem überhaupt nicht die Legitimation absprechen, weil: Genau das kann ja das Interesse sein, dass man sagt: Hey, wir wollen ein Q&A anbieten, wir wollen, dass Leute KünstlerInnen Fragen stellen können. Das hat absolut seine Berechtigung und es gibt das Interesse auch von Publikumsseiten daran. Aber dafür gibt es schon viele Format und das sehen wir dann weniger in unserer Aufgabe. 40:06 Anja Redecker Vielleicht können wir an einem Beispiel mal festmachen, wie so ein Format aussehen könnte. Gibt es ein Lieblingsformat, das du besonders gerne entwickelst oder durchführst? 40:20 Jonas Feller Wir haben für das Performing-Arts-Programm, das eine Publikation rausgebracht hat, das Handbuch für Vermittlungsformate in der freien Szene ein Format entwickelt, das Kartografie heißt und das wir seitdem sehr viel machen oder gar nicht so oft tatsächlich, aber was ich sehr gern mag, weil es ganz viel von dem, worüber wir gesprochen haben, eigentlich in sich trägt. 40:42 Musik [Dynamische Musik] 40:47 Anja Redecker Von 2016 bis 2018 entwickelte das Performing-Arts-Programm Berlin zusammen mit dem Studiengang Theaterpädagogik der Universität der Künste Berlin acht experimentelle Formate der Kunstvermittlung. Diese werden in einer frei zugänglichen Publikation beschrieben mit Hinweisen auf die Zielgruppe, Benennung der Herausforderungen und ihrer Bewältigung. Die intensive Beschäftigung des PAP mit Vermittlung zeigt die wachsende Bedeutung und Wahrnehmung dieses Felds auch in der freien Szene. Den Link zur Broschüre findet ihr in den Shownotes. 41:20 Musik [Dynamische Musik] 41:29 Jonas Feller Format besteht darin, dass nach einer Aufführung das Publikum eingeladen wird, auf die Bühne zu kommen und die Bühne mit Klebezetteln neu zu kartografieren. Das heißt Gedanken, Fragen, Eindrücke auf Postits zu schreiben und die in den Bühnenraum zu kleben, da, wo sie das Gefühl haben: Da gehört er hin. Da geht es gar nicht darum, dass da an dem Ort das jetzt war, sondern tatsächlich, wo das Gefühl oder sozusagen der Eindruck hingehört. Die KünstlerInnen selbst sind dabei nicht dabei. Und beziehungsweise, wenn sie dabei sein wollen, dann sagen wir: Ihr könnt euch gerne in den Publikumsbereich setzen und aber ihr müsst still sein und ihr dürft zuschauen. Das ist die erste Phase, in der sozusagen Leute auch in Stille auf die Bühne gehen und erst mal für sich diese Klebezettel hinkleben. Die zweite Phase besteht dann darin, dass sie, was sie wahrscheinlich vorher auch schon tun, aber noch mal sehr explizit anmoderiert wird, zu sagen: Jetzt schaut euch auch die Zettel der anderen an. Gibt es noch Dinge, die vielleicht schon direkt darauf antworten wollt? Dann auch das wiederum auf Postits zu tun, dazuzukleben. Und das ist der Moment, wo wir dann auch die KünstlerInnen einladen, die Bühne zu betreten und sich quasi auch durch diesen überschriebenen Bühnenraum zu bewegen. Und aber auch weiterhin in Stille das zu lesen und sich einfach so einen Eindruck zu verschaffen, was da jetzt schon geschrieben wurde. 42:43 Jonas Feller Und die dritte Phase besteht dann darin, dass das Publikum eingeladen wird, sich auf der Bühne zu positionieren zu einem Bereich, wo vielleicht so Postits kleben, die sie jetzt interessieren, über die sie gerne weiter reden wollen. Und dadurch bilden sich räumliche Gruppen auf der Bühne von Leuten, die wahrscheinlich Interesse haben, über ähnliche Dinge zu reden. Und dann wird quasi in Kleingruppen die Möglichkeit gegeben, darüber zu sprechen. Das heißt, wir haben auf der Bühne mehrere kleine Gesprächsgruppen, die sich dann über Themen unterhalten, die sie dort verortet haben. Und da können die KünstlerInnen auch wiederum dabei sein. Aber auch hier - deswegen ist es wichtig, vorher mit den KünstlerInnen zu sprechen - ist auch die Ansage: Geht nicht sofort ins Erklären eurer eigenen Arbeit, sondern nutzt diese Gelegenheit, selbst vielleicht auch Fragen zu stellen oder selbst etwas zu erfahren darüber. Und das macht ganz viel sozusagen, wenn die Haltung der KünstlerInnen in dem Moment ist nicht: Ich stehe hier, ich erkläre euch jetzt meine Arbeit. Sondern: Ich bin hier und habe Interesse an eurer Meinung. Dann schwingt das natürlich über. Und das Publikum fühlt sich dazu ermutigt, die eigene Meinung auch zu sagen. Und hat vorher schon die eigenen Gedanken irgendwie formuliert oder zumindest schon mal gedacht und auf Zettel gebracht. Und ist dadurch anders aktiviert worden. 44:00 Anja Redecker Und wie wäre in dieser konkreten Situation, wie wäre eure Rolle darin? Taucht ihr darin auf? Leitet ihr die AkteurIn in der Situation an? Oder seid ihr gar nicht dabei? 44:13 Jonas Feller Wir sind dabei, aber eben wir sind eher anleitend dabei. Und da kommt dann wieder der Begriff der Anstiftung rein. Wir sehen uns darin, den Rahmen zu schaffen und die Impulse zu geben. Worüber dann gesprochen wird, liegt in der Verantwortung jeweils der Leute, die teilnehmen. Wenn da über bestimmte Kleinigkeiten gesprochen wird, dann ist das vollkommen in Ordnung, weil es scheint, diese Leute, die dort in dem Moment darüber reden, zu interessieren. Und wenn an anderer Stelle über etwas ganz anderes gesprochen wird, über die großen Themen der Inszenierung, dann ist das das Interesse der Leute. Und das erzählt aber auch viel darüber, was eine Aufführung mit den Leuten gemacht hat. Also sind es die großen Themen, die darin verhandelt werden, die überhaupt von Interesse sind? Oder ist es das nervige Geräusch, was die ganze Zeit auf der Bühne zu hören war, was einen total davon ablenkt, über die Themen nachzudenken? 45:03 Anja Redecker Ich habe das Gefühl, gerade bei diesem Beispiel spielt auch ein Faktor eine große Rolle, nämlich Zeit. Weil: Du hast von den drei Phasen gesprochen, man begibt sich in Ruhe auf die Bühne, lässt das noch mal auf sich wirken. Man braucht Zeit zur Reflexion, niederzuschreiben, dann alles zu lesen und dann in die Gespräche zu gehen. Was, würdest du sagen, ist für dieses konkrete Beispiel einerseits eine zeitliche Dimension, die man einplanen sollte? Und andererseits, wie geht er damit in der Kommunikation um? Formuliert ihr das bereits im Vorfeld in Ankündigungstexten zum Beispiel? Und wie viele Menschen nehmen sich diese Zeit? 45:49 Jonas Feller Das ist ein extrem wichtiger Punkt. Bei diesem konkreten Format ist das mindestens eine halbe Stunde. Und man kann aber in der halben-Stunde, 40-Minuten-Format schon gut durchführen. Das klang jetzt vielleicht in diesen Phasen nach mehr, aber die sind halt sehr formatiert und damit reichen da manchmal fünf Minuten für diese erste Phase. Zum Beispiel. Weil: Da kommen schon sehr, sehr viele Gedanken hin, weil jede Person zwei, drei Zettel schreibt. Und man hat nur zehn Teilnehmer. Und wieso kleben da 30 Zettel? Und das ist schon eine ganze Menge. Und je mehr Leute daran teilnehmen, sind es natürlich mehr Zettel. Es ist total wichtig, im Vorfeld zu kommunizieren, wie lange solche Formate dauern. Weil: Nur dann wissen Leute, worauf sie sich einlassen. Und es ist auch sehr wichtig, zumindest grob schon zu skizzieren, was sie da eigentlich erwartet. Und das ist eine große Kunst; diese Vermittlung des Formats. Also sozusagen der Moment: Wann kündigt man es eigentlich an? Also, steht man nach dem Applaus auf und eine Person ruft noch rüber: Jetzt gibt es noch dieses Format, wo ihr hinkommen könnt. Ist das vorher angekündigt, kriegt man es bereits beim Einlass gesagt, steht das vielleicht schon vorher auf der Website mit einer kurzen Ankündigung? Da kann ich gar nicht so sehr ein Patentrezept jetzt für geben, wie man das gut macht. 47:07 Jonas Feller Es ist total wichtig, es an mehreren Stellen vielleicht immer wieder anzukündigen. Und es ist wichtig, eine gute, knackige Zusammenfassung hinzubekommen, um Leuten zu sagen, was sie da eigentlich erwartet, damit Leute nach den zwei Sätzen, die man vielleicht über den Einlass gebrüllt hat, denken: Ja, cool, da habe ich jetzt irgendwie Interesse dran, da gehe ich mal hin, das klingt spannend. Und das muss noch gar nicht das ganze Format erklären. Da muss noch nicht drinstehen: Oh, ihr werdet auf die Bühne gehen können und Zettel schreiben und dann könnt ihr reden. Sondern es reicht manchmal vielleicht auch schon: Wir haben da so was Alternatives. Das schreckt manche Leute ab, manche reizt es auch. Ich glaube, das hängt dann auch wiederum sehr davon ab, wo man das macht. Und weil ich anfangs erzählt habe, dass eben sehr, sehr viel auf Festivals sind: Dort ist das natürlich noch mal eine ganz andere Kommunikation, weil: Leute sind, zumindest wenn wir mit einem Festivalpublikum zu tun haben, was ja ein ganzes Festival über auch vor Ort ist, die haben viel mehr Interesse zu kommen, weil: Die sind auch da für den Austausch. Viel schwieriger wird es dann auch noch die Leute vor Ort, die quasi durch den freien Verkauf zu dieser Produktion gekommen sind, auch noch dafür zu gewinnen, um diesen Austausch zu schaffen. Anja Redecker Ich kann mir vorstellen, dass Festivals und Häuser relativ unkompliziert, vielleicht ein kleines Budget für eure Arbeit abstellen können. Für freie Gruppen, die eine einzelne Produktion machen, stelle ich mir das eher schwierig vor. Deshalb bin ich relativ beeindruckt davon, wie open-source-mäßig ihr mit eurem Material umgeht. Ihr habt jetzt gerade auch drei Hefte rausgebracht, in denen ihr so ein bisschen beschreibt, wie euer Vorgehen ist, wie man selbst zum Gesprächsanstifter, zur Gesprächsanstifterin werden kann. Magst du zu den Heften noch ein bisschen was erzählen? 48:54 Jonas Feller Vielleicht kurz noch zu dem, was du gerade gesagt und zu dem Open-Source-Gedanken: Wir formulieren das über so ein bisschen Witz, aber auch da ist sehr viel Wahrheit drin, dass wir sagen, wir arbeiten eigentlich daran, uns selber abzuschaffen, weil wir sozusagen ja nicht nur tun, um damit Geld zu verdienen, sondern auch aus einem kulturpolitischen Interesse heraus, dass wir sagen, wir finden es wichtig, dass diese Arbeit passiert und wir wollen eigentlich, dass sie mehr passiert. Und wir füllen diese Lücke gerade, weil wir Skill haben. Es gibt eine Lücke. Aber wenn andere Leute diese Lücke füllen und sie irgendwann gefüllt ist, dann freuen wir uns darüber. Genau. Dafür sind diese Hefte auch da sozusagen. Wir haben einfach jetzt inzwischen acht Jahre Praxiserfahrung gesammelt und die Erfahrung gemacht, die, wo auch wir auch viel gescheitert sind an vielen Stellen. Und es müssen ja nicht alle alle Fehler nochmal machen oder alle Dinge noch neu ausprobieren müssen, sondern wir greifen genauso auf Ressourcen zurück, die Leute vor uns erschaffen haben oder gemacht haben. Also wir gucken in anderen Bereichen, wir gucken irgendwie im Bereich der Bildungsarbeit und der Mediation. Finden dort Formate, die wir einfach übernehmen können und adaptieren können für unsere Bereiche, was relativ mit wenig Arbeitsaufwand verbunden ist, aber total produktiv sein kann. Und eigentlich verstehen wir deswegen unsere Arbeit dann wiederum genauso, dass wir sagen, wir produzieren Dinge und wir wollen, dass Leute sie nutzen können, unabhängig von eigenen Mitteln. Und wenn die freie Gruppe Interesse hat, ein Nachgesprächsformat anzubieten, nach ihrer Arbeit, aber kein Geld hat, dafür jemand anders zu beauftragen, dann sollen sie trotzdem gerne einfach auch diese Formate nutzen und es vielleicht selber anbieten, wenn sie das noch leisten können oder so. Genau. 50:44 Jonas Feller Und in diesen Heften, es sind drei Stück zurzeit… Die Idee ist, dass da noch mehr kommen, irgendwann mal, aber diese drei sind jetzt erst mal finanziert und produziert worden. Das erste befasst sich mit dem Thema der Haltung, also die Frage: Mit welcher Haltung bietet man denn solche Formate an? Was sind Haltungen in Formaten, was ist eigentlich der Status Quo, des Gesprächs in der Szene der darstellenden Künste zurzeit? Da sprechen wir sehr, sehr viel quasi über unsere Haltung und dröseln die noch mal so ein bisschen auf, um sie verständlich zu machen. Aber auch Gastbeiträge von Christoph Lutz-Scheurle und von Laura Kaltenbach, die dort etwas schreiben. Im zweiten Heft beschäftigen wir uns mit dem Thema Räume. Also konkret: Wie sind denn räumliche Situationen? Wie schaffen Räume Situationen, in denen Menschen miteinander ins Gespräch kommen? Denn neben diesen konkreten Nachgesprächsformaten, die ja immer eine Zeit haben oder einen festgelegten Zeitpunkt, machen wir viele Formate, die eher so informellere Austauschräume sind. Sprechen da immer von… Wir benutzen den Begriff Gesprächsarchitektur dafür. Darum geht es ganz viel in diesem zweiten Heft. Und das dritte Heft ist ein Handbuch, was dazu einladen soll, selbst Gesprächsformate zu entwickeln. Und das Ganze in Form eines Fragebogens mit 50 Fragen, die man sich stellen sollte, wenn man ein Gesprächsformat entwickelt, worauf Antworten aber auch: Nein, ich habe keinen Bock drauf; sein können. Aber man sollte sie sich gestellt haben und diese Antwort vielleicht auch gegeben haben. 52:19 Anja Redecker Ich finde das sehr schön. Das klang, als hättest du Selbstgesprächsformate gesagt. Das wäre vielleicht auch noch ein interessantes Feld, in das ihr eure Fühler ausstrecken könntet. Jetzt interessiert mich natürlich wahnsinnig, weil du das angesprochen hast: Was sind denn eure Scheitermomente? Welche Fehler habt ihr gemacht? Und was könnt ihr vielleicht weitergeben, worauf man achten sollte, was man… oder vielmehr, was man vermeiden sollte? 52:46 Jonas Feller Das eine schwierige Frage, weil: Es gibt ganz, ganz viele Momente und gleichzeitig sind sie, glaube ich, häufig sehr schwer konkret zu beschreiben. 52:53 Anja Redecker Oder vielleicht anders: Was bedeutet… Also, wann ist ein Gespräch für euch gescheitert? 52:59 Jonas Feller Ein Gespräch ist gescheitert, wenn Leute nicht miteinander in Austausch treten. Also wenn sozusagen unsere Rahmenbedingung nicht dazu führt, dass Leute Lust haben, miteinander zu sprechen. Was häufig klar… Wenn AuftraggeberInnen an uns herantreten, dann ist so das Interesse daran, dass Leute unbedingt jetzt über diese Inszenierung sprechen müssen. Unser Interesse ist aber, erst mal sie überhaupt ins Gespräch zu bringen. Und wenn Sie dabei über die Kaffeepreise, über das Wetter reden, ist das für uns auch erst mal vollkommen in Ordnung. Gescheitert ist es für uns nur, wenn das nicht passiert. Also wenn es den Raum nicht gibt. Wenn sozusagen unsere Angebote nicht genutzt werden, weil sie anscheinend nicht einladend sind. Oder wenn ein Format, was wir uns überlegt haben, was bestimmten Regeln folgt oder einem bestimmten Rahmen folgt, eher dazu führt, dass Leute gehemmt sind, als dass sie sich eingeladen fühlen. Und das sind manchmal ganz, ganz kleine Stellschrauben. Wir haben ein Format, wo man aus einem Stück Papier eine Skulptur formt, um sozusagen das eigene Empfinden der Aufführung irgendwie als erstes einmal in so etwas Haptisches zu gießen, eben nicht gleich ins Sprechen zu kommen. Und da haben wir in der Anmoderation feststellen müssen, dass es ganz darauf ankommt, was für ein Wort wir dafür benutzen. „Skulptur“ ist etwas, was funktioniert. In dem Moment, wo wir „Kunstwerk“ sagen, schafft das eine Hemmschwelle auf und Leute machen das nicht. Und das sind Dinge, die muss man ausprobieren und kommt dann drauf. Und es war jetzt nicht vorherzusehen, dass dieses eine Wort das auslöst und das andere vielleicht nicht. 54:28 Anja Redecker Aber das ist doch irgendwie auch eine schöne Ermutigung zu sehen, dass, wenn man manchmal bei ersten Experimenten oder Versuchen auf Widerstände stößt oder auf Hemmschwellen, dass es sich lohnt, daran trotzdem weiter zu denken, weil man ja eine gewisse Idee dahinter hatte, die vielleicht nur noch weiter ausgreift werden muss. Du bist ja noch nicht so lange in Hamburg. Vielleicht hast du trotzdem einen Tipp, wo man in Hamburg dann hinschauen könnte, um vielleicht schon gelingende Vermittlungformate zu entdecken. Gibt es da einen Ort, der dich beeindruckt hat? 55:01 Jonas Feller Ich muss sagen, dass ich diesen zwei Jahren tatsächlich ungefähr kaum im Theater war, weil natürlich lange überhaupt nichts lief, aber auch dann in den Phasen, wo dann wieder das lief, auch bei mir die Arbeit sehr hochkam und kaum Zeit hatte. Deswegen tue ich da, glaube ich, jetzt niemandem einen Gefallen, wenn ich da jetzt versuche, etwas zu sagen. Ein Format, bei dem ich selber nicht teilgenommen habe, was ich aber sozusagen im Programmheft gelesen habe, ist beim letzten Hauptsache-Frei-Festival letzten Herbst, wo jetzt das Angebot war an das Publikum: Hier gibt es KünstlerInnen mit einer Flasche Wein und einer Theaterkarte und mit denen zusammen kannst du ins Theater gehen. 55:45 Anja Redecker Beste Gäste. 55:46 Jonas Feller Beste Gäste heißt das. Genau. Ich habe nicht dran teilgenommen, aber ich finde es eine fantastische Idee und es nimmt sozusagen diesen Moment der Einladung, das in Kontakttreten. Und es nimmt ernst, dass Austausch ein längerer Prozess ist, der davor beginnt, der währenddessen stattfindet und danach weitergeht. Denn wenn ich privat mit einer Person ins Theater gehe, rede ich ja auch vorher wahrscheinlich schon darüber. Was erwarte ich eigentlich, dass wir uns gemeinsam dafür entschieden, dass wir da hingehen? Dann schauen wir gemeinsam diese Aufführung. Wir werden danach wahrscheinlich bei einem Getränk oder so weiterreden. Und das nimmt diesen, diesen Gedanken auf und sagt aber: Hey, wir öffnen das wir suchen… Wir bringen da Leute zusammen, die vielleicht erst mal nicht von alleine miteinander ins Theater gehen würden. 56:29 Anja Redecker Absolut. Und ich weiß zufällig auch, dass der Andrang von KünstlerInnenseite, an diesem Format teilzunehmen, enorm hoch war. Und das, finde ich, umso mehr verdeutlicht, dass ein Interesse an wirklichem Austausch zwischen diesen zwei Dimensionen Kunst und Publikum wirklich hoch ist und immer höher zu werden scheint. Ich würde vielleicht langsam zum Schluss kommen und gebe dir die Chance für einen kleinen Werbeblock. Wie kann man euch denn buchen? 56:56 Jonas Feller Also ich lade euch natürlich alle herzlich dazu ein, unsere Publikationen zu lesen. Die lässt sich bestellen, auf: gespraeche-anstiften.de Oder ihr schaut einfach auf unserer Homepage vorbei: geheimedramaturgischegesellschaft.de Auch da kommt ihr dann weiter, um weiter zu dieser Publikation, aber da findet ihr natürlich auch alle möglichen Informationen darüber, was wir so tun. Ansonsten haben wir eine Facebookseite und einen Instagramaccount, die wir so mäßig bespielen. Aber da finden sich auch immer wieder Dinge. Und ansonsten schreibt uns gerne einfach auch an: infos@geheimedramaturgischegesellschaft ist unsere allgemeine Adresse. Und mich persönlich erreicht hier unter jonas@geheimedramaturgischegesellschaft.de Und wir freuen uns über Anfragen, über Interesse, über Gesprächsanlässe jeglicher Art. Genau. 57:52 Anja Redecker Vielen Dank, Jonas. Das war ein spannendes Gespräch. Und ich bin sicher, dieses Thema Vermittlung wird uns auf jeden Fall noch begleiten. Und auch wenn es negativ für euch ist, ich hoffe, dass es gelingt, dass ihr euch selbst abschafft in dieser Hinsicht. 58:06 Jonas Feller Vielen Dank für die Einladung. 58:06 Musik [Dynamische Musik] 58:11 Anja Redecker Das war die dritte Folge Postskriptum mit Jonas Feller von der Geheimen Dramaturgischen Gesellschaft. Ich hoffe, dieses PS hat euch gefallen und verweise gern noch mal auf die Website Accesing Theater, wo ihr noch mehr Input zu berufspraktischen Fragen von BühnenbildnerInnen, DramaturgInnen und weiteren Theaterschaffenden bekommt. Schaut hier gerne immer mal wieder vorbei, denn von Semester zu Semester kommen mehr Inhalte dazu. Vielleicht bald auch schon das nächste Postskriptum. Tschüss. 58:38 Musik [Dynamische Musik] Transkribiert von: Nora Ebneth Hamburg, März 2022